Unterrichtsfach: Essen unterwegs (in der Natur)

Wir sind infiziert. Infiziert mit dem Sammelvirus. Der erste Kurs hat uns gleich in wahrsten Sinne des Wortes ins Feld geführt – auf einen Feldweg nämlich zwischen den Äckern von Pollenzo. 18 Menschen aus fast allen Teilen dieser Erde wirbeln Staub auf, mit Notizblock in der Hand, mehr allerdings gleich mit Smartphone asugerüstet, willkommen im Studium 2.0. Vorneweg Andrea Pieroni, unser Professor für Ethnobiologie. Er zupft an Schachtelhalm und Brombeerpflanzen, pflückt unreife Walnüsse und erklärt die Vielfalt, die sich uns am Wegesrand bietet. Unglaublich, was man alles essen kann. Und was seinen Platz in der italienischen Küche hat – oder hatte, denn vieles hat sich auch hier verloren. Die Stengel der Klette werden in Scheiben geschnitten und eine halbe Stunde gekocht, dann verlieren sie die Bitterkeit. Die Triebe vom wilden Hopfen werden in Risotto oder Frittata genutzt. Gänsefuß ist eine Art wilder Spinat und wichtige Vitamin- und Kohlehydratquelle. Junger Mohn wir im Salat gegessen. Wir sehen Beifuß, Johanniskraut, wilden Amarant, Holunder- und Haselnusssträucher und sind entzückt, suchen nach Namen in Englisch, Japanisch, Italienisch, Taiwanesisch, Deutsch.

Ich wußte am Morgen noch kaum, was Ethnobiologie eigentlich ist. Die Wissenschaft, die die Beziehung von Mensch und Umwelt untersucht. Jetzt will ich unbedingt mehr über Ethnobotanik wissen – der Beziehung von Mensch und Pflanze. Seit Ewigkeiten wussten Menschen alles über die Pflanzen ihrer Umgebung und haben sie für sich genutzt, haben sie gegessen, getrocknet, zu Medizin verarbeitet, verehrt. Wieso kenne ich nicht viel mehr als Brennessel und Gänseblümchen? Wieso esse ich geschmacklosen Gewächshaussalat, wenn ich genauso gut Löwenzahn, Giersch und Vogelmiere pflücken kann, die zudem bei Weitem mehr Vitamine und Mineralstoffe haben? Ich weiss nicht, ob es der Enthusiasmus ist, der allen Anfängen innewohnt. Am Nachmittag ziehe ich wieder los, diesmal mit Jutebeutel statt Notizblock. Wie ich feststelle bin ich nicht die Einzige. Es könnte um Pollenzo herum bald zu Wildpflanzenengpässen kommen..

2 Kommentare

  1. Liebe Simone Böcker,
    danke für diesen interessanten Blog, ich bin gespannt auf die nächsten Beiträge. Aber sagen Sie: Kann man eigentlich irgendwas falsch machen beim Sammeln in der Natur, d.h. gibt es irgendwas, was man besser gar nicht essen sollte, was auf dem Boden wächst und grün ist? Oder gilt einfach nur: Es ist halt eine Geschmacksfrage.
    MfG

    • Simone Boecker

      Lieber Dirk,
      ich freue mich sehr über Ihr Interesse! Was Ihre Frage betrifft: Wenn es so einfach wäre mit dem Sammeln… Nein, nicht alles was grün ist, ist essbar. Man muss zwar nicht gleich ein Studium absolvieren, aber Sie sollten auf jeden Fall nur pflücken, was Sie kennen – auch wenn das anfangs nur Löwenzahn sein sollte. Zwar gibt es verhältnismäßig wenige nicht-essbare Pflanzen, die schädlich sind (und die führen oftmals zu Übelkeit – dabei ist auch die Menge ist entscheidend…). Aber es kommt ja zudem auch darauf an, was man mit den Pflanzen anstellen will: Welche Teile der Pflanze kann man nutzen und wie? Es gehört also schon ein bisschen Wissen dazu fürchte ich. Mein Rat: nähern Sie sich langsam an. Suchen Sie sich ein oder zwei „neue“ Pflanzen, die Sie interessieren und die Sie kennen lernen wollen – ich werde in kürze einige in meinen Beitrag aufnehmen. Wenn Sie sich mit ihnen vertraut fühlen, erweitern Sie ihr Repertoire. Gehen Sie aufmerksam durch die Natur. Dann werden Ihnen die Pflanzen auffallen, die für Ihre Umgebung wichtig sind. Was Sie mit denen dann machen können, erfahren Sie in meinem nächsten Eintrag. Also bleiben Sie dran!
      Pflantastische Grüße,
      Simone Böcker

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